Nora Imlau in Köln: Wenn gefühlsstarke Kinder groß werden
In „Du bist anders, du bist gut“ beschreibt Nora Imlau, wie Eltern gefühlsstarke Kinder (ab 6) beim Großwerden begleiten. Es ist das Nachfolgebuch zum Bestseller „So viel Freude, so viel Wut“. Letzte Woche stellte Nora ihr neues Buch in Köln vor.
„Du bist nicht schuld“
„Ich habe oft den Fehler bei mir gesucht“, sagte Nora, als sie in Köln vor über 200 Zuhörerinnen und Zuhörern redet. Nora weiß wovon sie spricht. Die Journalistin gilt als eine der wichtigsten Expertinnen hierzulande für Baby- und Kleinkindthemen, hat zahlreiche Elternratgeber geschrieben – und ein eigenes Kind, das sie heute als gefühlsstark bezeichnet.
Große Gefühle, die Kind und Eltern herausfordern
Ein Kind, das mit seinen großen Gefühlen sie als Eltern herausgefordert hat. Nora begab sich auf die Suche nach Antworten und Lösungen für sich selbst. Sie lernte, dass „Temperament ein Spektrum ist“, also ein weiter Bogen von Möglichkeiten. Auf der einen Seite stehen Kinder, die in sich ruhen. Auf der anderen Seite Kinder, die von ihren Gefühlen regelmäßig übermannt werden. Ihr Kind stand und steht auf dieser Seite, ganz weit auf dieser Seite.
Unser Lebensglück hängt nicht vom Temperament unseres Kindes ab.
Nora Imlau
Eine weitere Herausforderung für Eltern von gefühlsstarken Kindern liegt in der sozialen Umwelt. Denn die reagiert häufig mit Widerstand. Und während bei kleinen Kindern der Wutanfall vielleicht noch mit Verständnis begegnet wird – das Kind ist halt in der Trotzphase – sieht das bei größeren Kindern schon anders aus. Ein 8-Jähriger, der tobt und zusammenbricht?
Unsere Glaubenssätze
Es sind die kulturellen Glaubenssätze, die unserem Umfeld und uns Eltern es so schwer machen. Es sind Sprach wie: „Wenn du da nachgibst, ziehst du einen Tyrannen heran.“ Dazu kommen noch persönliche Glaubenssätze, die aus der eigenen Familie stammen.
In das Kind hineinversetzen
Nora plädiert dafür sich immer wieder in das gefühlsstarke Kind hineinzuversetzen: „Mein Kind ist in Not – auch wenn nur der Flummiball hinter das Sofa gerutscht ist.“ Was das Kind fühlt, ist real.
Wenn der Flummi den Kampf-oder-Flucht-Modus aktiviert
Im Wutanfall schaltet das Kind in den Flight-Fight-Modus. Dieser findet in einem entwicklungsgeschichtlich älteren Teil des Gehirns statt, der für unbewusste Reaktionen zuständig ist. Die bewusste Steuerung im Neokortex wird weitgehend ausgeschaltet. Das heißt: Das Kind kann sich gar nicht mehr steuern. Es kommt alleine nicht aus der Wut heraus.
„Mein Kind macht kein Drama, mein Kind erlebt ein Drama.“
Nora Imlau
Lernen nach Vorbild: unbewusstes spiegeln
Wenn das Kind in der Wut ist, dann ist entscheidend, wie das Umfeld reagiert. Denn das Besondere: Auch in diesem emotionalen Ausnahmezustand funktionieren noch die Spiegelneuronen. Das heißt das Kind reagiert auf die Gefühle anderer.
Ist das Kind wütend und Mutter oder Vater werden dadurch auch wütend, dann erfährt das Kind unbewusst: Wut ist gerade okay und angesagt. Bleibt das Gegenüber hingegen ruhig, dann kann sich das Kind über dieses ruhige Gegenüber viel schneller selber beruhigen. Vor allem lernt das Kind hier langfristig durch das Rolemodel, das Vorbild, wie das mit dem Beruhigen und Ruhigsein geht.
Gefühlsstarke Kinder werden groß
Gefühlsstarke Kinder werden nicht automatisch zu tollen Jugendlichen oder Erwachsenen, erzählt Nora. Tatsächlich gibt es unter Jugendlichen, die problematisches Verhalten an den Tag legen, viele gefühlsstarke Kinder. Genauso gibt es auch besonders viele viele gefühlsstarke Kinder unter Jugendlichen, die sehr engagiert sind. Es scheint, so meint Nora, als ob die Gefühlsstarken zu Extremen neigen. Sei es nun im negativen oder positiven Sinne.
Was den Unterschied macht
Ausschlaggebend, in welcher Gruppe ein Kind landet, ist vor allem der Erziehungsstil. So führt Härte gegenüber den Gefühlsausbrüchen der Kinder eher zu einer schwierigen Pubertät. Während eine konsequente liebevolle Grundhaltung zu starken Persönlichkeiten führe, die auch sicher durch die Stürme der Pubertät segeln. Die Botschaft an das Kind lautet also wie der Buchtitel „Du bist anders, du bist gut.“
„Eine Welt schaffen, in der alle Kinder sein dürfen, wie sie sind.“
Nora Imlau
Dabei bedeutet liebevoll nicht, dass die Kinder keine Grenzen erfahren. So muss das gefühlsstarke Kind durchaus lernen, dass es nicht okay ist, sein Kindergartenfreund zu schlagen, nur weil es wütend ist. Die Wut ist okay, das Schlagen nicht.
Die Zuhörerinnen und – leider wenige männliche Zuhörer – waren teilweise stark ergriffen, wenn Nora redete. Nora vereint in ihrem Vortrag eine hohe Fachkompetenz mit ihrer eigenen Geschichte und lässt dabei ihre eigenen Gefühle spüren. Es ist das, was eine überzeugende Rednerin (und Redner) meines Erachtens auszeichnet. Wenn sie erzählt, spricht sie über sich. Ihre Botschaft lautet: Ich bin diesen Weg gegangen und du kannst es auch.
Nora im Podcast-Interview
Einen Tag nach der Buchvorstellung hat mich Nora in meiner Praxis besucht – dort ist ein sehr ausführliches Interview entstanden. Folge 78 von Eltern-Gedöns: Gefühlsstarke Kinder beim Großwerden begleiten. Und: Erstmals mit Video!!!
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