Unsere Kinder sind schöpferisch – am laufenden Band entstehen neue Kunstwerke: die Kleine bastelt und malt, schreibt sogar erste Geschichten, der Große zeichnet Karten, Comics und schreibt vor allem. Nur: Das Ganze türmt sich zu einem wachsenden Berg und ich frage mich: „Wohin damit?“
Zum Wegschmeißen viel zu schade, denke ich mir. Jede Zeichnung ist immerhin ein eigenes Kunstwerk. Auf der anderen Seite schleppt meine Tochter auch mal an einem Tag zehn Kunstwerke aus der Schule mit. Und zuhause wird häufig fleißig weiterproduziert. Solange wir (noch) keine kaufkräftige Kundschaft haben, die uns die künstlerische Tagesproduktion unserer Kinder aus den Händen reißt, sobald sie fertig sind, brauchen wir eine andere Lösung. Also doch entsorgen?
Kinderwerk sind auch Kindheitserinnerungen. Und ich bin meinen Eltern echt dankbar, dass es Zeichnungen, Comics und Geschichten aus meiner Kindheit gibt. Es sind kleine Schätze – und Überraschungen, wenn meine Mutter mir wieder einen kleinen Fund überreicht. Dinge, die mein jüngeres Ich vor Jahrzehnten geschaffen hat und die ich längst vergessen hatte.
Die große Frage: Aufheben oder Wegschmeißen?
Aufheben hat also einen Wert. Es hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Allerdings kommt es auf die Auswahl drauf an. Zumindest in unserer Vierzimmerwohnung ist nicht Platz für ALLE Kinderwerke. In unserem Keller gibt es zwei riesige Mappen aus dem Kindergarten – Größe DIN A0. Die Auswahl haben die Erzieherinnen und Pädagoginnen getroffen. Daraufhin haben wir uns auch Mappen angeschafft, in die ausgewählte Kinderwerke einsortiert werden.
Die Übung für mich: Loslassen
Der Rest wandert in die Tonne – häufig immer noch mit einem schlechten Gewissen. Ich kann mich schwer von Dingen trennen, merke ich dann. Und dass es Schöpfungen meiner Kinder sind, macht es nicht einfacher. Jedes Kunstwerk ist eine neue Einladung, mich im Loslassen zu üben …
Auswählen und aussortieren, aufheben und wegschmeißen, sind allerdings nur der erste Schritt. Was bringt es uns als Familie, wenn wir die Kunstwerke aufheben und sie im Keller auf ihren Einsatz warten – wohlmöglich erst in Jahren oder Jahrzehnten? Viel sinnvoller ist es doch die Bilder hier und jetzt einzusetzen!
Kunst gehört in den Alltag!
Kunstwerke dürfen gesehen und bestaunt werden. Deswegen hängen die Bilder unserer Kinder bei uns in der Wohnung – und (bald auch) bei mir im Büro. In einem Kinderzimmer ist eine einfache Schnur gespannt, an die wir die Kunstwerke mit Wäscheklammern oder Büroklammern hängen. So können die Bilder schnell ausgetauscht werden. Andere Bilder rahmen wir und wieder andere kleben an Türen oder Fenstern.
Und: Bei Kunst geht es nicht ums Kunstwerk
Die Idee zu diesem Artikel kam mir heute Morgen, als ich aus den Bildern meiner Kinder welche für meine Praxis raussuchte. Allerdings war ich zuerst nicht zufrieden mit dem, was ich vorfand. Und das hatte etwas mit meinen Erwartungen zu tun.
Als ich mir ein Bild wünschte
Mir schwebte schon eine ganze Weile etwas ganz Konkretes vor. Ich liebe die Bücher von Ottfried Preußler, insbesondere »Die kleine Hexe«. Die Geschichte ist für mich untrennbare mit den wundervoll krakeligen Zeichnungen von Winnie Gebhardt-Gayler verbunden. Mein Wunsch: Die kleine Hexe gezeichnet von meiner Tochter! Ich dachte: Das ist das ideale Bild für meine Praxis.
Das Gewöhnliche: das Gewünschte
Wie Kinder so sind, erfüllen sie ja liebend gerne die Wünsche der Eltern. Ich bekam also eine ganze Reihe von Hexen-Bildern. Nur: bei mir sprang der Funke nicht über. Dabei kenne ich Bilder von meiner Tochter, die mich tief bewegen. Wie das Bild vom Fuchs.
Das Ungewöhnliche: das Überraschende
Meine Tochter hat mir das Bild zum Geburtstag geschenkt: Es zeigt einen Fuchs vor Bäumen. Der Fuchs ist ein langgezogenes Wesen, Körper und Kopf sind eins, eine ovale Form mit dicken schwarzen Knopfaugen. Dahinter kantig bizarre Bäume, bunt und dick schraffiert. Diesem Bild wohnt eine Kraft inne, die mich – und auch meine Frau – beeindruckt.
Wie Erwartungen den kreativen Fluss stören
Als ich darüber nachsann, wieso das eine Bild so kraftvoll war und das andere etwas blasser, fand meine Frau mühelos die Antwort: „Das eine wolltest du, das andere Bild kam aus ihr!“ Und ja, sie hatte Recht. Ich hatte etwas von meiner Tochter erwartet. Nur: Wenn ich eine Vorstellung habe, quasi ein inneres Bild von einem Bild, dann kann diese Vorstellung ja nur enttäuscht werden. Vor allem wenn ich das Bild noch mit einer Vorlage einer erwachsenen Illustratorin vergleiche.
Lasse ich hingegen das Kind sich selbst ausdrücken, dann kann wahre Schöpfung passieren. Dann kann sich das zeigen, was sich zeigen will.
Worauf es mir bei der Kunst ankommt
Dieses Erlebnis zeigt mir nicht nur, wie vorsichtig ich mit konkreten Erwartungen sein sollte. Es rief mir auch noch mal in Erinnerung, worum es bei Kunst eigentlich geht: Um den schöpferischen Akt! Das Kunstwerk ist eigentlich unwichtig. Aber in dem Moment, in dem das Gemälde fertig ist, ist das Wesentlich vorbei: das Malen!
Was ich gelernt habe …
Ruho Nina Lösel hat im Interview über Kreativität im Eltern-Gedöns-Podcast genau darüber gesprochen: Über den Wert sich kreativ frei auszudrücken – gerade für Kinder. Deswegen ist die Frage, was mit den Bildern meiner Kinder passiert, aus meiner Sicht nachrangig. Wichtig ist mir, dass meine Kinder den Raum haben sich auszudrücken. Dass ich vorsichtig bin mit meinen Erwartungen ihnen gegenüber und vielmehr offen für das, was sich durch sie ausdrücken will. Und wenn das eine oder andere Bild von ihnen an der Wand hängt und wir uns gemeinsam daran freuen, ist das ein schöner Nebeneffekt.