So schaffen wir die Digitalisierung: Tablets für Zweijährige!
Hurra. Wir schaffen die Digitalisierung – indem wir 2-Jährige an digitale Medien heranführen! Geht’s noch? Das fordert allen Ernstes der sogenannte „Aktionsrat Bildung“ (Das Gremium ist initiiert von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft …) Mich hat vor allem die zugespitzte Darstellung in der Welt geärgert (zum Artikel Die Durchdigitalisierung von Deutschlands Kindern). Das eigentliche Gutachten „Digitale Souveränität und Bildung“ (PDF) hat auch aus meiner Sicht durchaus sinnvolle Ansätze. Dennoch mangelt es ihr an einem zentralen Punkt, der bei der Digitalisierung wichtig ist.
2-Jährige? Da stelle ma uns mal janz dumm
Okay, zur Erinnerung liebe „Experten“, wer denn diese 2-Jährigen sind: 2-Jährige können schon meist sicher gehen, sie verbessern ihre Feinmotorik, in dem sie Deckel alleine aufschrauben, bauen Türme mit Bauklötzen („Wow – schon 7 Bausteine“), ihr aktiver Wortschatz umfasst 50 bis 200 Wörtern und sie fangen an 1-Wort-Fragen zu stellen. Merkt ihr was? Digitale Medien sind genau das, was Kinder jetzt NICHT für ihre Entwicklung brauche. Ach ja: die meisten Zweijährigen tragen noch eine Windel. Nur falls die Experten immer noch nicht so richtig begriffen haben, mit welcher Zielgruppe sie es hier zu tun haben …
Digitalisierung – da hat die Wirtschaft ganz andere Baustellen …
Wenn wir von Digitalisierung reden und dass Deutschland da echt hinterherhinkt, dann sollten sich Staat und Wirtschaft hierzulande erstmal an die eigene Nase packen. Wie wäre es mal mit einen vernünftigen Ausbau der digitalen Infrastruktur? Ich sag mal: Glasfasernetz (lieber Staat: das war schon mal Anfang der 80er Jahre geplant …) und flächendeckendes verlässliches, schnelles & günstiges mobiles Internet (liebe Wirtschaft)– so als Grundlage für Digitalisierung. Und ja: Das geht, ein Blick über die Grenze genügt …
Kinder fit machen für die Digitalisierung
Zu meinem eigentlichen Punkt: Damit Kinder fit werden für den schnellen Wandel und die Digitalisierung, benötigen sie vor allem erst einmal bestimmte persönliche und soziale Fähigkeiten. Das ist meines Erachtens viel wichtiger, als im Kindergarten Programmierspiele einzubauen.
Meine Forderung: Das brauchen unsere Kinder!
Was Kinder für später brauchen: Sie müssen sich konzentrieren, ihre Gefühle selbst regulieren, sich Ziele setzen, sich selbst organisieren, stabile soziale Beziehung aufbauen und Konflikte klären können. Dazu brauchen sie im Kindergarten-Alter liebevolle Zuwendung, Halt, Bewegung, Spiel und andere Kinder. Diese innere Kraft macht Kinder fit für eine digitale und sich schnell wandelnde Welt. Auch das fehlt ihnen leider manchmal zuhause.
Programmieren und so …
Ich glaube, dass am Ende des Kindergartens auch punktuell digitale Medien eingeführt werden können – zum Beispiel in einer Vorschulgruppe von 5-Jährigen. Und vorher kann man auch mal Programmierspiele spielen. Und in der Grundschule halte ich es auch für sinnvoll, Kinder zu lehren einen Computer und ein Textverarbeitungsprogramm zu bedienen. Hier können sie auch schon ans Programmieren herangeführt werden. Aber wenn Kinder im Kindergartenalter nicht gelernt haben, sich selbst anzuziehen und zehn Minuten ruhig sitzen zu bleiben, dann bringt auch der Programmierkurs nix.
Was ich mir wirklich von Bildung wünsche
Doch diese ganze Fähigkeiten kann ich erst dann lernen, wenn ich gelernt habe mich zu konzentrieren. Wenn ich gelernt habe, zu lernen. Wenn ich nicht verlernt habe, mich zu begeistern. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich meine Interessen verfolgen kann. Dann ist da diese Begeisterung etwas eigenes zu schaffen. Diese Begeisterung dranzubleiben. Dann werden Rückschläge zu Herausforderungen. Dann haben wir diese Menschen, die von sich aus Probleme lösen – einfach weil es ihnen ein Bedürfnis ist.
Ja, Bildung muss sich ändern – aber anders als vielfach gedacht
Ich glaube auch, dass wir unser Bildungssystem an die Digitalisierung anpassen müssen, nur geht meine Forderung viel tiefer und weiter als Kinder lediglich den Umgang mit Technik zu vermitteln. Ich glaube, wir brauchen Menschen, die erst einmal als Mensch sehr kompetent sind. Die in sich ruhen, wenn außen der Wandel tobt. Die innerlich so stark sind, dass sie sich dem Zog des Digitalen immer auch entziehen können. Dazu müssen wir unser Bildungssystem radikal umbauen. Aber dann richten wir es nicht auf die Digitalisierung aus – sondern wir richten das Bildungssystem endlich auf den Menschen aus.
PS: Wenn ich einen Aktionsrat Bildung ernst nehmen soll, der über Digitalisierung schreibt, dann erwarte ich auch eine digitale Eigenkompetenz. Das zeigt sich dann unter anderem darin, dass ich eine Studie auch auf dem Smartphone lesen kann – was mit einem doppelseitigen PDF mehr als schwierig wird. Dass das PDF keine Sprungmarken aufweist, fällt dann schon gar nicht mehr ins Gewicht. Hypertext, vernetzte Welt und Wissen und so …
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