Wie Sie mit Ihrem Perfektionismus und innerem Kritiker umgehen
Perfektionismus hilft uns im Beruf weiter, zumindest oberflächlich betrachtet. Tatsächlich führt er zu einem inneren Konflikt und der macht im schlimmsten Fall krank. Damit es nicht so weit kommt, weisen Sie Perfektionismus und den inneren Kritiker in die Schranken, und zwar so:
„Du musst noch diesen Blogpost schreiben.“ Dieses „du musst“ hallte am letzten Tag vor unserem Urlaub durch meinen Kopf. Leider war es nicht das einzige „du musst“ und so fiel es am Ende des Tages unter den Tisch beziehungsweise stand noch sehr anklagend auf meiner To-do-Liste. Ich bin mit einem schlechten Gewissen zu Bett gegangen: „Hätte ich doch früher damit angefangen, hätte ich doch …“
Tatsache ist, dass ich an diesem Tag extrem fleißig gewesen bin. Ich hatte unglaublich viel erledigt: letzte Telefonate und E-Mails, Steuererklärung, Buchhaltung, Packen, letzte Vorbereitung wie Auto Waschen und Auftanken. Der Tagesrückblick hätte eigentlich sein sollen: Wow, was habe ich heute alles geschafft! Das wäre eine angemessene Reaktion gewesen. Doch: das „hättest du doch“ und „du musst“ haben mich runtergezogen.
Der innere Kritiker und die Antreiber
„Du musst“ ist ein klassischer Hinweis auf den inneren Kritiker oder den Antreiber „sei perfekt“. Diesen Antreiber in mir kenne ich sehr gut, immerhin begleitet er mich schon sehr lange und ich habe mich schon oft mit ihm beschäftigt. Die Arbeit mit den inneren Antreibern, an dieser Stelle nehme ich mal die Illusion schneller Lösungen, ist – häufig – ein lebenslanges Ringen, ein lebenslanges Wachsen. Die gute Nachricht: Wir können uns verändern, dazu ist es nie zu spät!
Den inneren Kritiker in die Schranken weisen
Der erste Schritt ist, den inneren Kritiker zu erkennen. Der zweite ist, ihm seine Macht zu nehmen. Das geht im inneren Dialog in der direkten Konfrontation, also zum Beispiel: „Nein, du hast mir nichts zu sagen – ich bestimme, wo es langt geht.“ Und es geht wie immer leichter mit Humor, also auf ein inneres „du musst“ zum Beispiel zu antworten: „Ich muss gar nichts – außer mal aufs Klo.“
Reframing: Die Wirklichkeit umdeuten
Mir ist eine nützliche Umdeutung, auch Reframing genannt, im Urlaub zwei Tage später eingefallen. Während ich im Liegestuhl lag, zwischen den Bäumen schien die Sonne Burgunds, die Kinder planschten im Fluss, kam mir plötzlich die Einsicht: Das „ich muss den Blogartikel schreiben“ kann ich positiv nutzen, in dem ich einen Blogartikel über das „ich muss“ schreibe.
Der unperfekte Artikel über Perfektionismus
Und um den inneren Kritiker in seine Schranken zu weisen, mache ich diesen Blogpost ziemlich unperfekt: Statt lang zu planen, spreche ich den Artikel spontan ins Mikro meines Handys, danach schreibe ich ihn ab und halte mich maximal eine halbe Stunde mit dem Layout des Artikels auf.
Perfektionismus erwünscht: Steigere das Brutto-Sozial-Produkt
Die Crux am inneren Kritiker und am Perfektionismus ist die Folgende: Sie helfen uns gerade beruflich weiter. In unserer Gesellschaft ist das Streben nach mehr, der Wunsch, immer mehr erreichen zu wollen, anerkannt und geschätzt. Es ist quasi eine Grundlage unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Um es mit der 80er-Jahre-Band Geiersturzflug zu sagen: Steigere das Brutto-Sozial-Produkt. Lange galt es ja als schlau im Vorstellungsgespräch auf die Frage nach einer Schwäche zu antworten: „Ich bin perfektionistisch.“ Der Nachteil: Gerade der Perfektionismus lässt uns selbst – und andere – ganz schön leiden.
Perfektionismus, Perfektion und perfekt – eine Abgrenzung
„Perfekt“ bedeutet „vollendet“ oder „vollkommen“, sagt der Duden. „Perfektion“ ist damit die „Vollendung“ oder „Vollkommenheit“. Erstmal sind diese Zustände – auch aus meiner Sicht – durchaus erstrebenswert. Interessant wird es, wenn ich mir die Definition von „Perfektionismus“ anschaue, das bedeutet nämlich: „Übertriebenes Streben nach Vervollkommnung.“ Damit ist auch das Problem klar beschrieben: Es ist „übertrieben“.
Das Leben ist an sich nicht perfekt – oder? Es ist ein ewiges Auf und Ab. Mal gelingt uns etwas gut, mal misslingt es. Und wie es im Außen ein Auf und Ab gibt, so gibt es das auch im Innen: Wir haben Stärken und Schwächen, helle und dunkle Seiten. Mal sind wir froh, mal traurig. Und das Leise, das Dunkle, der Schmerz, all das hat seinen Platz in unserem Leben. Der Perfektionismus aber untergräbt dies. Er gaukelt uns vor, wir müssten (!) immer auf der Sonnenseite sein. So erzeugen wir in uns eine Spannung.
Was nicht ins perfekte Bild passt, darf nicht sein
Wir versuchen zu unterdrücken, was die vermeintlich perfekte Fassade stört: Ins Fettnäpfchen zu treten, Wut zu zeigen, Hilflosigkeit, Verzweiflung, Fehler und Misserfolge. So unterdrücken wir unsere Spontanität, unsere Gefühle. In dem wir unsere Reaktionen durch einen Filter laufen lassen, unterdrücken wir aber auch unsere hellen Gefühle wie Überraschung und Freude. Damit zerstört der Perfektionismus das, auf was er eigentlich abzielt: Zufriedenheit und Glück.
Heißt auf Perfektionismus verzichten auf Ziele zu verzichten?
Ach ja: Ich spreche mich nicht gegen Ziele aus oder den Wunsch etwas erreichen zu wollen. Ganz im Gegenteil. Zu wissen, was ich will und das zu verfolgen, ist sehr wichtig auf dem Weg zu mehr Zufriedenheit und Glück. Gefährlich wird es nur, wenn wir vom „ich will“ zum „ich soll“ und „ich muss“ gehen. Dann wird aus dem freiwilligen Streben nach etwas ein Druck.
Tatsächlich glaube ich, dass es Perfektion gibt und dass uns das Streben danach bereichert – damit stimme ich übrigens mit Peter Wiesejahn überein, der seinen Blogpost zum Thema provokant mit Ich bin Perfektion-ist, und das ist gut so betitelt hat.
Schöne Übung. Bei mir war’s ein Satz, der mir unaussprechlich vorkam in Sitzungen, der vor vielen Jahren die erste Schramme in meinen Perfektionismus geschlagen hat:
Ich habe angefangen zu sagen „Das weiß ich nicht“. War ein Gefühl wie vom 12Meter-Brett spingen – aber nur ein paar Wochen lang. Die erste Antwort meines Chefs war: Ok, dann schau bitte nach und schick mir nachher ein Mail. So ein Anti-Klimax, kein Boden, der sich auftut, kein Erdbeben, nix.
Und nach einer Weile ist fast eine Art Wunder passiert: meine KollegInnen haben auch damit begonnen 😉
Hallo Stella,
danke für den Kommentar und deinen Bericht: ein schönes Beispiel, wie und was Ehrlichkeit und Offenheit in der Kommunikation (be)wirken kann! Und es zeigt, dass Verhaltensänderungen zwar (anfangs) nicht leicht, aber möglich sind. Ein neues Verhalten auszuprobieren gleicht wirklich einem Sprung ins kalte Wasser – und wenn dann das Sprungbrett noch so hoch ist, ist es ja eine echte Mutprobe
Toll auch, dass dein Verhalten für die anderen Kolleginnen und Kollegen wie ein Vorbild gewirkt hat. Das ist ja immer großartig, wenn ich handle und dadurch Menschen bewegen kann
Liebe Grüße und viele weitere (selbstbewirkte) Wunder
Chris
Schönen guten Tag,
Christopher,
ich weiß, dass es derzeit in ist, den Perfektionismus an den Pranger zu stellen. In vielen Bereichen finde ich es ebenfalls wichtig. Deswegen auch „Dankeschön für diesen Artikel!“
Andrerseits sehe ich die Sache, wie du ja schon weißt, etwas anders. Ich finde Perfektionismus auch gut. Es gibt Bereiche in meinem Leben, in denen ich Perfektion anstrebe. Dies in dem Wissen, dass ich derjenige bin, der den Maßstab steckt und, dass ich sie wahrscheinlich nicht erreichen werde. Hier ist die Frage, kann ich GUT damit leben, wenn es nicht perfekt ist? Die Frage kann ich für mich mit einem deutlichen „Ja“ beantworten.
Perfektionismus wird für mich nur dann zur Falle, wenn er mich abhält mich auf meinen Weg zu machen. Perfektion kann nie am Anfang einer Entwicklung stehen. Sie kann allerdings ein gutes Ziel sein.
Lieben Gruß
Peter
Hallo Peter,
ja, deine Vorbehalte kann ich gut nachvollziehen, ich habe Perfektionismus auch lange positiv (oder zumindest ambivalent) gesehen. Der Artikel ist quasi ein weiterer Schritt mich davon zu befreien 🙂
Ganz ehrlich – ich glaube: Perfektionismus ist nicht hilfreich.
Ich erlebe das ganz klar an mir selbst und an meine Klienten: Die große, große Mehrheit kämpft mit den eigenen inneren Ansprüchen. Das ist meines Erachtens ein (An-)Zeichen von Perfektionismus. Auch theoretisch gewinne ich dem Begriff wenig Unterstützendes ab. Laut Duden (ich gebe zu, ich habe eben erst nachgeschlagen, ausgelöst durch deinen Kommentar ;-)) ist Perfektionismus „übertriebenes Streben nach Vervollkommnung“! Unter der Betrachtung finde ich es total spannend, dass dieser Begriff in unserer Gesellschaft überhaupt irgendetwas Positives angenommen hat.
Der Versuch etwas wie Perfektion (d.h. Vollkommenheit) zu erreichen, was unerreichbar ist (d.h. Vollkommenheit in einer unvollkommenen Welt), ist ja ein nicht einzulösender Anspruch. Das heißt ich lebe die ganze Zeit in einer Spannung, die nie ihren Höhepunkt erreicht. Und wenn ich mich erst dann annehmen kann, wenn ich das Unerreichbar erreiche, versage ich mir, mich selbst anzunehmen.
Was das von dir angesprochene Streben nach Perfektion betrifft, so schließ ich mich dir in der Sache gerne an – verwende aber lieber Begriffe wie „das Streben nach mehr“ oder „den Drang nach persönlicher Entwicklung“. Carl Rogers hat das Selbstaktualisierungstendenz gennant. Diesen Wunsch, sich weiterzuentwickeln, halte ich für ein gutes Zeichen. Gut leben kann ich dann damit, wenn ich mich immer wieder annehme, ob ich nun meine Ziele erreiche oder – und gerade dann besonders – wenn ich sie (noch) nicht erreiche.
Liebe Grüße
Chris
PS: Hilfreich finde ich auch den Begriff „Gewissenhaftigkeit“ anstelle von „Perfektionismus“.
Hallo Christopher,
auch deine Vorbehalte kann ich gut nachvollziehen. Für mich gab es schon mehrere perfekte Momente und sogar Tage in meinem Leben. Und ich hoffe sehr, dass noch viele folgen. Auch hier ist es mein Maßstab, der diese Tage vollkommen machte. Für andere wären sie vielleicht nur durchschnittlich gewesen.
Auch aus diesem Grund finde ich das Wort „perfekt“ sehr passend.
Ich finde übrigens auch nicht, dass wir in einer unvollkommenen Welt leben. Doch das ist eine andere Geschichte.
Nun möchte ich diene Geduld und deinen Blog auch nicht überstrapazieren. Doch zum Abschluss noch einmal: vielen Dank für den gut durchdachten Artikel.
Weiterhin alles Gute
Peter
Ich überlege noch ob ich mein Thema HEUTE untern Tisch begrabe ….Es geht um den Kindergartenplatz…und meinen Ansprüchen aus Angst das der Kindergarten falsch ist… wo ich nun reserviert bin …obwohl ich nur wischiwaschi damals „ja “ sagte dachte ich trotz all der Zeit und Kalibern an Bürokratie doch noch genug Zeit zu haben ….um akribisch alles zu recherchieren ….mit einem Gepäck an Pro und Kontra wie 4wo zu früh Frühchen ,Trennung im häuslichen vom Vater (dennoch aber reguläre WE Besuche ),immer noch festsitzen in einer 1zi whg weil ich derzeit noch kein dickes Gehalt vorweisen kann ,dann die Zweifel aufgrund von eigenen bewussten Schwächen hinzu gemixt und das an einem Tag mit zu wenig Schlaf aber tickender Uhr die mich dran erinnert „Heute oder Montag “ muss ich diese Entscheidung treffen ….und der Hintergrund ….ich hab selbst mit Kindern gearbeitet und ich wünschte er müsste nicht in eine städt. EINRICHTUNG …auch wenn ich sicher bin das alle Angestellten gut sind …ich fühle einfach riesen Zweifel weil ich weiss was mein Sohn unbedingt braucht und das ist „less is more“ …ob Gruppe ob Kita ob Geräuschkulisse ….und jemand der ihn sehen wird wenn er introvertiert nichts sagt aber innerlich evtl danach ruft …..so eine Kindertagesmutter hat er aktuell …aber wie es schon immer war …ich bin nie konform mit den bürokratisch gesetzlich vorgeschriebenen STAATL RAHMENBEDINGUNGEN die mir am Herzen klar liegen und traue mich nix zu sagen aus Angst und Zweifel „das ich als Hausfrau mit kleinem Budget gefälligst das nehmen muss was da ist ,also quasi „haste nix biste auch nix und schon gar nix wenn man auch noch Ansprüche hat „….
Aber es geht mir nicht darum ob ich mein Arsch gepudert habe sondern es geht mir um die Vorgeschichte was zu Thema BINDUNG gehört und ich fest glaube das min die ersten 3j schonmal für mich nur das Thema beinhaltet ….ich sehe es doch ….Bowlby hat was so wertvolles da mit der Bindung hinterlassen …und darauf baut nun mal das LEBEN auf !
Wow – viele Themen, puh. Der Eintritt in den Kindergarten ist ein großer Schritt – für Kinder und Eltern. Kann ich mein Kind in fremde Hände legen? Darf ich das überhaupt? Oder ab wann? Pauschal lässt sich das meines Erachtens nicht beurteilen. Kinder sind so unterschiedlich.
Dein Kind geht ab wie viel Jahren in die KiTa? Ab 3?
Ich glaube, dass Menschen, die Erzieher werden, das meist auch aus einem Interesse für die kleinen Menschen tun. Und das ist eigentlich das Wichtigste aus meiner Sicht: Die liebevolle Zuwendung. Das ist das A und O in meinen Augen. Die ganzen Konzepte können das nicht ersetzen. Und diese Zuwendung gibt es auch in vielen städtischen Kitas 😉
Vielleicht kannst du dich ein Stück weit drauf einlassen und darauf vertrauen, dass du dein Kind so gut kennst, dass du merkst, wenn es ihm zu viel wird. Wenn es gar nicth geht und dass ihr dann eine Lösung findet.
Wir können unsere Kinder leider nicht vor allem beschützen, was unangenehm, belastend oder sogar gefährlich ist. Wir können sie nur liebevoll begleiten und eingreifen, wenn es nicht geht.
Ich wünsche dir viel Vertrauen und deinem Sohn viel Kraft, Mut und dass er liebe Menschen kennen lernt, die ihn auf seinem Weg in der Kita begleiten.