Lösungsorientierte Beratung: Trotz Hindernissen ins Ziel
„Ich hab mich verlaufen“, denk ich, als vor mir ein Abgrund auftaucht. Irgendwo muss ich falsch abgebogen sein. Ich schau auf die Karte und suche einen anderen Weg. Was bei einer Wanderung für uns selbstverständlich ist, vergessen wir bei anderen Problemen oft. Stattdessen kreisen unsere Gedanken scheinbar endlos um das Problem, setzen uns Ärger und Wut zu. Lösungsorientierte Beratung ist wie ein guter Wanderer: Statt Tränen zu vergießen sucht sie nach einem Weg zum Ziel.
„Warum“ und „wer hat schuld?“ sind beliebte Fragen – nicht nur beim Tatort am Sonntagabend. Bei Konflikten oder Problemen suchen wir oft erst einmal nach den Ursachen, dem Motiv und einem Schuldigen. Dabei hat dieses Vorgehen eine Reihe von handfesten Nachteilen.
Die Schuldfrage gehört abgeschafft
Die Frage nach der Ursache führt wie die Schuldfrage zu einem Schuldigen oder einem Auslöser des Problems. Doch mit der Aufklärung ist nur für Tatort-Kommissare die Arbeit getan.
Wenn wir wissen, was unser persönliches Problem verursacht hat, ist unsere Arbeit immer noch nicht getan. Denn dem Problem ist es völlig egal, dass wir wissen, wie es (wahrscheinlich) entstanden ist: Es besteht nach wie vor!
Nachteile von Schuldzuweisungen und der Suche nach dem Warum:
- Die Suche nach einem Schuldigen oder einer Ursache bindet Zeit und Energie.
- Indem wir Zeit und Aufmerksamkeit dem Problem widmen, wächst es unter Umständen.
- Schuldzuweisungen führen zu Anklagen. („Die hat angefangen …“)
- Anklagen in einer Beziehung verletzen und erschweren es zusammenzuarbeiten.
- Schuldzuweisungen erschweren aber auch mir den Zugang zu meinen Ressourcen. Denn die Verantwortung und die Fähigkeit etwas zu ändern liegen nun beim „Schuldigen“ – und nicht mehr bei mir („Wenn der endlich mal aufräumen würde, dann würde ich ja auch …“).
Problem und Lösung sind getrennt
Lösungsorientiertes Arbeiten verändert den Fokus: Weg vom Problemwälzen hin zur Lösung. Die Erfahrung in der Beratung zeigt, dass eine Lösung auch ohne Wissen um das Probleme entstehen kann. Damit ist lösungsorientierte Beratung schnell, denn die Analyse-Phase fällt weg.
Die Lösung und den Menschen im Blick
Lösungsorientierte Beratung lenkt den Blick auf das, was funktioniert und nicht auf das, was nicht funktioniert. Dahinter steht ein liebevoller und positiver Blick auf Menschen. Es geht nicht darum Fehler oder Defizite zu beseitigen, sondern darum Fähigkeiten zu entfalten.
Damit orientiert sich Lösungsorientierte Beratung an der Gegenwart („Was läuft jetzt bereits gut?“) und der Zukunft („Was möchte ich?“) und weniger an der Vergangenheit („Wer ist schuld?“ und „Wie kam es dazu?“).
Auf die Haltung kommt es an
Die Grundlage für die Lösungsorientierte Arbeit ist die innere Haltung des Beraters oder Coachs: Als Coach vertraue ich dem Klienten. Ich vertraue darauf, dass er in der Lage ist, seine Probleme zu lösen.
Der Klient ist Experte für sein Leben. Er könnte mir tagelang, wochenlang oder sogar jahrelang von seinem Leben erzählen und dennoch würde ich es nie so verstehen können wie er. Denn es ist sein Leben. Deswegen ist auch die Lösung seine Lösung!
Methoden: Fragen nach Ausnahmen
Der Coach weiß, dass er nichts weiß – zumindest nicht hundertprozentig, wie es in der inneren Welt des Klienten zugeht. Aus dieser Haltung des „Nichtwissens“ heraus setzt er seine Methoden ein. Das sind vor allem Fragen, mit denen er den Klienten durch dessen innere Welt leitet.
Der eigentliche Weg besteht aus drei Schritten:
- Eine Vision entwickeln: Was möchte ich erreichen und was bringt mir das? (Ziele & Gewinne)
- Ausnahmen vom Problem suchen: Wo, wann und wie war es anders? (Ressourcen & Fähigkeiten)
- Diese Fähigkeiten bewusst machen und die einzelnen Schritte bestärken. (Wertschätzung)
Mehr davon – oder anders
Der Lösungsorientierte Coach sucht nach Ausnahmen: Also wann trat das Problem nicht auf oder wann konnte der Klient die Herausforderung bewältigen – und vor allem: wie hat er das angestellt? Diese Ausnahmen zeigen Stärken und Fähigkeiten des Klienten auf. Der Coach unterstützt und ermutigt den Klienten diese Fähigkeiten zu erweitern und öfters einzusetzen.
Die Macht von Vorbildern: Neue Strategien
Manchmal hat der Klient aber noch nie eine solche Herausforderung bestanden – oder kann sich nicht bewusst daran erinnern. Dann ist es oft hilfreich, neue Strategien auszuprobieren. Oder: Sich Vorbilder suchen, die ähnliche Probleme überwunden haben.
Die Ursprünge des Lösungsorientierten Ansatzes
Lösungsorientierte Beratung entstand aus der Lösungsorientierten Kurztherapie (Englisch: Solution Focused Therapy oder kurz: SFT). Die Lösungsorientierte Kurztherapie geht auf Steve de Shazer und Insoo Kim Berg zurück. Die Kurztherapie heißt so, weil sie vor allem im Vergleich zur klassischen Psychotherapie mit sehr wenigen Sitzungen auskommt: Häufig reicht eine Handvoll Therapie-Sitzungen.
So entstand die Lösungsorientierte Therapie
Für Steve de Shazer wurde eine spezielle Familientherapie zum Schlüsselerlebnis: Schon in der ersten Sitzung beschrieb die Familie so viele unterschiedliche Probleme und Konflikte, dass er als Therapeut nicht wusste, wo er anfangen sollte. Und genau das sprach er aus: Wie könne diese Familie überhaupt noch funktionieren? Was dann passierte, öffnete ihm die Augen.
Zu seinem Erstaunen begann die Familie seine Frage zu beantworten. Plötzlich fanden alle Dinge, die gut liefen. Noch mehr staunte Steve de Shazer, als die Familie zur zweiten Sitzung kam: Die Stimmung hatte sich komplett gewandelt! In diesem Moment erkannte er: Allein indem wir darauf schauen, was bereits gut läuft, verändert sich etwas zum Guten.
Wie ich mit Lösungsorientierung eine Schreibblockade überwandte
Der Lösungsorientierte Ansatz hilft mir nicht nur bei der Arbeit mit Klienten. Der Blick auf die Lösung hilft mir auch persönlich. Sobald ich merke, dass ich mich ärgere oder sorge, wende ich den Blick ab vom Problem hin zum Ziel.
Ärger und Zweifel beim Schreiben
So schweiften meine Gedanken ab, während ich diesen Blogpost schrieb. Plötzlich fand ich mich auf Facebook wieder. Als ich das merkte, ärgerte ich mich und machte mir Vorwürfe, dass ich nicht disziplinierter arbeitete. Aber ich machte mir meinen Ärger klar. Es war ein Zeichen, dass etwas nicht stimmte. Sobald es mir bewusst war, handelte ich.
Gefühle erkennen, Ziele benennen
Als erstes beschrieb ich mein Ziel: Ich will meinen Artikel über Lösungsorientiertes Arbeiten fertig schreiben. Während ich mir mein Ziel in Erinnerung rief, merkte ich noch eine andere Gefühlsregung: Ich zweifelte, ob ich überhaupt etwas dazu zu sagen hätte. Ich bemerkte den Zweifel und erweiterte entsprechend mein Ziel: Ich will einen fundierten Artikel über Lösungsorientiertes Arbeiten schreiben. Damit fühlte ich mich wohl. Jetzt kam der zweite Schritt: Die Suche nach den Ausnahmen.
Ausnahmen suchen: Wann war ich gut?
Ich überlegte, was ich bisher getan hatte, um fundierte Artikel zu schreiben. Ich fand zwei Punkte: Erstens hatte mir das Thema jeweils Spaß gemacht und zweitens hatte ich mich sehr gut vorbereitet. Diese Erkenntnis übertrug ich auf meinen Blogpost.
Ausnahmen anwenden: Ich tue das, was ich eh schon gut kann
Ich rief mir in Erinnerung, weshalb ich den Blogpost überhaupt schrieb: Zum einen um lösungsorientiertes Coaching vorzustellen und zum anderen um auf mein Coaching-Angebot in Köln hinzuweisen. Und hier lag der Spaß: Ich liebe es einfach anderen Menschen zu helfen, Krisen zu überwinden!
Dann schaute ich mir an, wie ich vorbereitet war: Zum einen ich konnte auf das Wissen aus meiner Coaching-Ausbildung zurückgreifen, zum anderen hatte ich ein Buch und einige Artikel zur Lösungsorientierter Kurztherapie gelesen. Das, fand ich, war eine gute Basis. Aber ich wollte mehr: Ich ließ den Text von einer Therapeutin und einem Klienten gegenlesen. Ihre Anregungen flossen in den Blogpost mit ein. Schon der Gedanke daran, beruhigte mich. Ich begann auf meinem Laptop die ersten Zeilen zu tippen.
Der Gedankensprung: Lösungen suchen
Lösungsorientiertes Denken kommt einer Bewusstseinsänderung gleich – oder um nicht ganz so abgehoben zu klingen: einer Änderung der Einstellung. Auf jeden Fall fordert es ein Umdenken!
Okay, das gelingt auch mir nicht immer. Beim Autofahren kann ich mich immer noch herrlich über andere Verkehrsteilnehmer aufregen. Ich steigere mich dann in regelrechte Schimpfarien – und bin jedes Mal froh, wenn meine Kinder nicht im Auto sitzen. Aber in vielen Bereichen klappt es erstaunlich gut. Ich steige schneller als früher aus dem Gedankenkarussell aus und widme mich der Lösungsfindung.
Lernen für Krisen in der Zukunft
Das ist das Tolle am Coaching: Das Versprechen für langfristige Veränderung. Ich löse nicht nur mein konkretes Problem jetzt, sondern ich lerne auch Herausforderungen in Zukunft zu meistern.
Und es verändert mich noch mehr:
Indem ich vom Grübeln und Problemwälzen ins Lösungsfinden gehe, erlebe ich mich als handelnd, als verantwortlich und als kompetent mein Leben zu ändern. Selbstwirksamkeit nennen das die Fachleute. Es ist eine Grundzutat der Resilienz, also der Kraft Krisen zu überwinden.
Zum Held der eigenen Geschichte werden
Aber ich finde, ich kann es viel anschaulicher als mit Fachbegriffen beschreiben: Wenn ich mich in meinem Leben verrannt habe, dann suche ich – wie beim Wandern – einfach einen Weg nachhause. So werde ich zum Held meiner eigenen (Lebens-)Geschichte!
Foto-Nachweise
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