Wenn Kinder wegen vermeintlicher Kleinigkeiten explodieren, können wir Erwachsene das häufig nicht nachvollziehen. Selten erreichen wir die Kinder mit Erklärungen oder guten Ratschlägen. Wieso das so ist, erkläre ich in dieser Folge.
Wut hat wie jede Emotion seine Berechtigung, sie ist sogar ein wesentlicher Baustein eines gesunden Menschseins. Wieso aber werden Kinder so von ihren Gefühlen und gerade der Wut übermannt? Ein Grund ist, dass ihr Gehirn einfach noch nicht so entwickelt ist, dass sie ihre Gefühle kontrollieren können. Und um es noch schwieriger zu machen: Im Wutanfall wird gerade der Teil, der Gefühle kontrollieren kann, mehr oder weniger ausgeschaltet.
Das dreiteilige Gehirn (okay, das ist stark vereinfacht)
Das dreiteilige Gehirn ist eine vereinfachte Darstellung des menschlichen Gehirns. Und manche Neurowissenschaftler*in wird vielleicht sogar fuchsig, denn es gibt auch echte Kritik an dieser Darstellung. Da ich kein Neurowissenschaftler bin, nutze ich das Modell dennoch. Denn: Es eignet sich meines Erachtens gut, um eine Grundidee zu bekommen, wie das Gehirn funktioniert.
Hirnstamm: Kampf oder Flucht
An das Rückenmark schließt sich der Hirnstamm an, der stammesgeschichtlich älteste Teil des Gehirns. Es wird daher umgangssprachlich auch Reptiliengehirn genannt. Der Hirnstamm kontrolliert autonome Körperfunktionen wie Atmen und Herzschlag. Hier liegt auch eine unwillkürliche Steuerung für den Notfall: Der Fight-Flight-Modus (oder auch Fight-Flight-Freeze-Modus), also der Kampf-Flucht-Modus.
Limbische System: Gefühle und Alarmanlage
Darüber liegt ein Gehirnbereich, der limbisches System heißt. Es ist vor allem bei der Entstehung von Emotionen beteiligt und befähigt uns Bindungen einzugehen. Eine zentrale Rolle spielt hier die Amygdala, die so etwas wie unsere emotionale Alarmanlage ist.
Präfontaler Kortex: Die Steuerung
Über dem Ganzen liegt der Neokortex, die Hirnrinde. Hier sind höhere Hirnfunktionen angesiedelt. Eine besondere Stellung hat der präfontale Kortex, der direkt hinter unserer Stirn liegt. Mit ihm können wir abstrakt denken, uns sogar selbst beobachten und unsere Gefühle steuern. Dieser Bereich bildet sich erst im Laufe der Jahre beim Kind aus.
Die Wut begleiten lernen
Du willst lernen, dein Kind bei großen Emotionen zu begleiten? In Programmen wie Wut, mach’s gut übe ich das mit dir über drei Monate! Oder ich zeige dir, wie es geht in Einzelsitzungen: Buch dir jetzt ein kostenloses Erstgespräch.
Das kindliche Gehirn im Wutanfall
Was geschieht nun bei einem Wutanfall im Gehirn – speziell bei Kindern? Bei einem Kind im Wutanfall übernimmt das limbische System und der Hirnstamm die Steuerung. Das Gehirn wird quasi von den Emotionen übermannt. Es erlebt großen Stress und das deutet das Gehirn als (reale) Gefahr. Nun übernehmen die Schaltkreise die Steuerung, die evolutionär uns einen guten Dienst erwiesen haben und unser Überleben gesichert haben: Kampf oder Flucht. Ja, das Kind kennt nur noch Kampf oder Flucht (oder notfalls Erstarrung). Und deswegen ist es auch wenig erstaunlich, dass wütende Kinder gerne mal wegrennen (Flucht-Impuls) oder uns Eltern anschreien, schlagen, treten oder beißen (Kampf-Impuls).
Der Neokortex ist währenddessen größtenteils wie abgeschaltet. Das erklärt, warum Kinder in diesem Zustand für Erklärungen kaum noch empfänglich sind.
Und jetzt?
Im Wutanfall sind Kinder im wahrsten Sinne des Wortes „außer sich“ – sie sind außerhalb des Bereichs des Gehirns, der bewusst steuert. Sie sind auf Autopilot.
Was Kinder jetzt brauchen, ist eine gehirngerechte Begleitung! Und die entspricht der beziehungsorientierten Begleitung: Verständnis, Halt und Nähe.