Hallo, ich bin Christopher.
Während ich diese Zeilen schreibe, sitzt meine 7-jährige Tochter neben mir am Küchentisch und mischt Karten. Es ist Sonntagmorgen und eigentlich will ich die Morgenstunde nutzen um zu schreiben. Eigentlich, denn meine Tochter möchte etwas anderes: dass ich ihr einen Apfel schneide, ein Hörspiel hören, einen Tee, der mit der leckeren Pfefferminze, oder dass ich mit ihr spiele – kurz: ihr ist langweilig.
Ich bin erkältet, meine Frau auch (die darf heute ausschlafen), die leeren Flaschen müssten in den Keller gebracht werden, die Wäsche von gestern endlich aufgehängt werden und mein Sohn sollte für die Englischarbeit lernen, verbringt aber den Morgen – wenig überraschend – lieber mit seinem Handy daddelnd im Bett. Es ist ein ganz normaler Sonntagmorgen einer ganz normalen Familie.
Familie ist Herausforderung
Familie, Elternsein ist eine Herausforderung – schon im ganz normalen Alltag. Sobald sich etwas ändert, eine kleine oder gar größere Herausforderung dazu kommt, wird es eng. Dann ist die Frage, wie groß die Ressourcen der Familie sind.
„Bist du endlich fertig?“, fragt meine Tochter. „Ich habe schon 20mal gemischt!“
Familie ist Leben intensiv
Familie bedeutet laufende Improvisation, laufend sich neu einzustellen, laufend da und wach zu sein. Das erfordert natürlich auch das Leben ohne Kinder – nur mit Kind ist das Leben einfach eine Schippe intensiver. Familie ist Leben2.
Als sei Familie, das Leben mit Kindern (und Partner) nicht schon herausfordernd genug, kommen in der Regel noch ein oder zwei Jobs dazu. Und wenn es keine Arbeit gibt, ist das eine ganz eigene Art der Herausforderung …
Die Suche nach der „richtigen“ Erziehung
„Was ist der richtige Weg?“ Eine einfache, allgemeingültige Antwort darauf ist aus vielen Gründen schwierig: Erstens ändern sich dauernd die Herausforderungen in der Familie, also muss ich auch immer neue Lösungen (er)finden. Zweitens beantwortet jede Familie diese Frage auf ihre eigene Weise. Und drittens fehlt an vielen Stelle das erlebte Vorbild, wie Familie heute geht.
Wir lernen vom Vorbild – auch in der Erziehung
Unsere eigenen Eltern standen vor ganz anderen Herausforderungen und haben daher auch ganz andere Antworten gefunden. Heute gibt es viele neue Erziehungsideen und Methoden – doch die wenigsten sind über Jahrzehnte gelebt und vor allem erlebt worden. Das Erleben ist wichtig. Wir lernen nun mal einen Teil unseres Verhaltens am Vorbild.
Prägungen und Verhaltensmuster
In Erziehungsfragen haben uns unsere eigenen Eltern geprägt – sei es nun, dass wir Teile ihres Verhaltens übernommen haben oder dass wir als Reaktion darauf ein völlig anderes Verhalten entwickelt haben. Vieles von dem läuft unbewusst ab. Und vieles von dem sitzt tief.
Das Problem: In unserer eigenen Familie fliegen uns diese tiefliegenden Muster schon mal um die Ohren.
Ich zum Beispiel bin als Vater überzeugt davon, dass es in der Schule vor allem wichtig ist, die Eigenmotivation der Kinder wachzuhalten. Ich bin dafür das einzelne Kind in den Mittelpunkt zu stellen, anstatt es mit Noten mit dem Durchschnitt zu vergleichen. Und dennoch: Als mein Sohn mit einer 3 nachhause kam, reagierte ich harsch und enttäuscht. Ich verhielt mich also meinen Überzeugungen völlig entgegengesetzt! Ein klassischer Fall von einem Muster.
Kinder „drücken unsere Knöpfe“
Die eigenen Kinder finden traumwandlerisch unsere Schachstellen, die wunden Punkte, auf die wir sofort anspringen. Und sie können das meist noch viel treffsicherer als der eigene Partner. (Übrigens: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass weder unsere Kinder noch unsere Partner das in der Regel absichtlich tun – sie handeln schlicht und ergreifend unbewusst.)
Dieses intuitive Wissen um unsere Schwachstellen ist Fluch und Segen zugleich. Kinder sind – wie der eigene Partner auch – ein sehr intimer Spiegel meiner selbst. Ich kann also Dinge an mir wahrnehmen, die mir sonst verborgen bleiben. Wenn ich denn hinsehe …
Was ich aus dem Chaos im Kinderzimmer über mich lerne
Wenn mein Sohn den Boden seines Zimmers in ein wachsendes Chaos aus Comics, Schulheften, Unterwäsche und Lego verwandelt, kann ich mich aufregen oder fragen, warum ich mich aufrege! Und wenn ich dieser Frage ernsthaft nachgehe, könnte ich zum Beispiel zur Erkenntnis gelangen, dass ich eigentlich, tief im Inneren, auch mal gerne alles liegen lassen möchte.
Auf der einen Seite sehne ich mich also nach Nichtstun, auf der anderen Seite liebe ich Ordnung und Harmonie – ein echtes Dilemma also.
Wenn ich das sehe, mein eigenes Dilemma, dann kann ich nicht nur ganz anders auf meinen Sohn reagieren, sondern ich kann mich selbst besser verstehen. Dann lerne auch ich als Erwachsener in dieser Eltern-Kind-Beziehung.
Reden hilft – gerade in Familien
Und wenn ich das meinem Sohn offenlege, versteht er mit einem Mal mich und meine Reaktion besser. Dann wächst bei ihm Verständnis für mich. Dann sieht er seinen Vater in einem neuen Licht – auch dass der nicht immer perfekt ist. Und er lernt, wie man mit seinen eigenen Schwächen umgeht. Er lernt, wie Beziehung geht.
Ach ja: Trotz allem Verständnis für mein eigenes Dilemma heißt das übrigens nicht, dass ich meinen Sohn jetzt den ganzen Tag daddeln lasse.
Probleme oder Chance?
Ich betrachte Kinder und Eltern und den ganzen Haufen Probleme, der sich ab und zu in ihrem Leben auftürmt, daher als Chance. Ich sehe in Kindern und Eltern auch diejenigen, die diese Probleme lösen können. Familien haben die Kompetenz ihre Probleme selbst zu lösen.Manchmal braucht es nur eine kleine Aufmunterung von außen oder eine kleine Anregung, damit Eltern und Kinder ihre eigenen Lösungen finden können. Genau das tue ich.
Steckt wirklich in jeder Krise eine Chance?
Manche Schicksalsschläge sind so furchtbar, dass es anmaßend erscheint, sie als Chance zu bezeichnen. Und dennoch gibt es viele Menschen, die aus einer Krise wie gestärkt herausgehen. Es gibt Hinweise, dass sich unser Gehirn nach einer durchlebten Krise resilienter ist.
Was Wissen um Erziehung betrifft bin ich selbst Lernender – deswegen interviewe ich meinem Podcast Experten rund um Erziehung, Elternsein und Leben mit Kindern. Ich gebe keine Ratschläge. Ich begleite im Einzelcoaching Eltern vielmehr selbst eine Lösung zu finden. Ich leite Gruppen wie den Kreis der Väter oder den Eltern-Kreis. Und ich leite Eltern-Seminare wie zur Eltern-Kind-Kommunikation.
„Papa, wie lange dauert das noch?“, fragt meine Tochter. Ich blicke auf und sehe ein ungeduldiges Kind. Ich schaue auf die Uhr: Die 7-Jährige hat fast 20 Minuten gewartet. Wow. Ich habe gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist. Mein Text ist noch nicht fertig. Ich räume meine Sachen zur Seite und wir spielen.
„Liebevolle Eltern sind nichtwissend.“
Mir ist wichtig, Kindern auf Augenhöhe zu begegnen. Das heißt nicht, dass ich die elterliche Führung aufgebe. Aber ich begegne meinem Kind in dem Wissen, dass ich nicht immer alles weiß. Dass ich nicht immer weiß, was das Beste für mein Kind ist, nur weil ich Vater bin. Dass ich nicht immer weiß, wieso mein Kind tut, was es tut oder wie es ihm damit gerade geht.
Herausfinden was mein Kind braucht
Wenn ich wissen will, wie es meinem Kind geht, dann verlangt das von mir Offenheit und Achtsamkeit. Indem ich mein Kind – mit all seinen Ecken und Kanten – annehme, wächst bei mir Verständnis und Geduld. Und dann kann sich mein Kind öffnen. Sobald ich mich respektvoll mit meinem Kind austausche, erfahre ich, was mein Kind eigentlich braucht. Und wenn ich meinem Kind vertraue, dann kann mein Kind häufig sogar eine eigene Lösung entwickeln.
Für Veränderung sind wir Eltern verantwortlich
Wir Eltern sind es die etwas im Familienleben ändern können – sei es in der die Eltern-Kind-Beziehung oder an anderer Stelle. Wir Eltern haben die Kompetenz etwas zu ändern. Und wenn es einem Familienmitglied nicht gut geht, haben wir, wie ich finde, die Verantwortung etwas zu verändern. Dabei unterstütze ich dich und deine Familie sehr gerne.
PS: Während dieser Text entstanden ist, habe ich zweimal das Kartenspiel „Wilde Bande“ gespielt, einmal einen Pfefferminztee aufgegossen (und zwei grüne Tees für mich), einmal ein „Bibi und Tina“-Hörspiel angemacht und einen Apfel geschnitten (der aber nur zu einem Drittel verspeist wurde).