Spielzeugreduziert: Wie viel Spielzeug brauchen Kinder wirklich?
Gerade nach Weihnachten gehen Kinderzimmer in der Spielzeugflut unter. Viele Eltern fragen sich: Ist das gut? Und Welches Spielzeug ist altersgerecht? Die Pädagogin Dr. Julia Strohmer lebt spielzeugreduziert und erklärt, wie es geht.
Vor Weihnachten werden Kataloge geblättert, Wunschzettel geschrieben und gehofft, dass das ersehnte Feuerwehrauto, das Buch oder die Playstation unterm Weihnachtsbaum liegen. Natürlich machen Eltern, Verwandte und Freunde Kindern gerne Geschenke, freuen sich über die leuchtenden Augen und die begeisterten Rufe – doch seien wir einmal ehrlich: Oft hält der Zauber nicht lange an, das so dringend gewünschte Spielzeug landet unbeachtet im Eck – dort, wo schon gefühlt hundert andere Sachen ihr Dasein fristen. Doch wie der Spielzeugflut Herr werden? Erst einmal hilft ein Blick auf die Bedürfnisse der Kinder:
Baby: Die Welt begreifen
Bereits für Babys ist das Spielzeugangebot praktisch unüberschaubar. Dabei brauchen Babys nicht viel, um alle Fähigkeiten entwickeln zu können, die in diesem Alter anstehen: greifen, Hand-Auge-Koordination, erstes sortieren, einräumen/ausräumen, Ursache-Wirkung …
Dafür benötigt ein Baby oft nur simple Alltagsgegenstände: ein Tuch (später mit Knoten darin), das es gut greifen kann, ist für das Kind genauso spannend wie ein Schnuffeltuch mit Tierkopf, ein Holzkochlöffel oder Holzringe aus dem Bastelladen. Eine Kette aus großen Holzperlen bieten die selben Erfahrungen wie ein Holzgreifling und zum Ein- und Ausräumen finden Krabbelkinder im Wohnbereich allerhand – dafür benötigt es keine vorgefertigten Spielzeuge. Soll es etwas Bestimmtes, nur für das Kind sein, tut es ein Korb mit Holzwäscheklammern oder Holzringen auch.
Anziehend sind für Babys vor allem die bunten Farben der Plastikspielzeuge weniger die Haptik. Aber Spielzeuge, die bei kleinster Berührung blinken und Musik erzeugen, sind mehr Reizüberflutung als das Kinder dabei Ursache-Wirkungszusammenhänge verstehen – ein einfacher Hampelmann bringt da einen größeren Erfahrungswert.
Kleinkind: erst Alltag nachspielen, später konstruieren
Im zweiten Lebensjahr beginnt die „richtige“ Spielphase. Kinder fangen an mit Objekten zu spielen und erste „als-ob-Spiele“ und die Sprachentwicklung stehen auf dem Entwicklungsplan. Hierzu eignen sich eine Spielküche, ein Kaufmannsladen, usw.
Natürlich können Kinder es auch einfach nebenbei lernen, wenn sie beim Kochen zuschauen oder helfen oder wenn man mit ihnen einkaufen geht. Die Möglichkeit selbstbestimmt (möglichst gefahrlos) etwas nachzuspielen, hat aber einen gewissen Mehrwert.
Dasselbe ist dann im vierten Lebensjahr der Fall, wenn das Konstruieren anfängt. Kinder suchen sich ihre Materialien auch im Park oder Wald oder auch in der Küche und das hat für sie einen großen Wert. Aber auch Bausteine, Lego oder eine Holzeisenbahn bieten viele Möglichkeiten, die ich keinem Kind vorenthalten möchte.
Spielzeugwahl: Qualität vor Quantität
Bei der Spielzeugwahl sollte immer die Qualität vor der Quantität stehen. Besser wenige hochwertige Bausteine als 500 Stück, die nicht ordentlich verarbeitet sind und deshalb nicht gut zu stapeln sind. Die Grundfrage bei jedem Spielzeugkauf sollte sein: wofür interessiert sich mein Kind? Was sind die aktuellen Entwicklungsthemen und welches Spielzeug oder Material ist dafür bestmöglich geeignet?
Wie kann ich mit Kinderwünschen umgehen?
Ab dem Alter von etwa drei Jahren fangen Kinder an sich konkretes Spielzeug zu wünschen. Oft entsteht der Wunsch nur aufgrund eines Bildes in einem Katalog oder aufgrund der Verpackung und den Bildern darauf.
Beteiligen Sie Ihr Kind!
Am besten fragen Sie Ihr Kind, was es konkret damit spielen möchte. Nicht selten stellt man dabei fest, dass das Kind gar nicht weiß, was es sich da eigentlich wünscht. Oft bleibt am Ende nur das Thema erhalten (z.B. Autos) und das Kind möchte kein riesiges Parkhaus, sondern nur neue Autos oder ganz bestimmte Autos.
Manchmal wünscht sich ein Kind auch etwas, das es bei anderen Kindern schon gesehen und verwendet hat. Um herauszufinden, ob die Spiellust erhalten bleibt, kann man dieses Spielzeug vielleicht ausborgen. So kann man ein wenig einschätzen, ob es nur der Reiz des Neuen war, oder ob ein Kind längerfristig Freude daran finden könnte.
Lassen Sie Ihrem Kind seine Erfahrung
Auch wenn es schwerfällt: Gehen Sie nicht nur nach Ihren Maßstäben. Kindern gefallen oft andere Materialien oder Farben. Eltern müssen nicht jedes Spielzeug sinnvoll finden, mit denen Kinder gerne spielen. Es ist für Kinder auch ein Erfahrungswert festzustellen, dass Plastikteile leicht abbrechen können und Holz vielleicht robuster ist. Oder sie merken selber, dass sie ein Spielzeug plötzlich nicht mehr brauchen, was sie wenige Tage vorher unbedingt wollten.
Spielzeugfreie Phasen statt komplett spielzeugfrei
Ich bin nicht gegen Spielzeug. Ich finde spielzeugfreie Phasen wie im Wald oder wenn im Urlaub nicht viel zur Verfügung steht, sehr wichtig. Aber ich sehe auch den Mehrwert, den einige kommerzielle Spielzeuge mit sich bringen. Das, was ich bedenklich finde, ist der Überfluss, wenn Kinder vor lauter Auswahl gar nicht mehr die Möglichkeit haben richtig im Spiel zu versinken (und damit zu lernen), weil sie immer von A nach B hetzen, alles anfangen und oftmals keinen Überblick mehr darüber haben, was sie überhaupt alles besitzen.
Mein Geständnis: Auch wir haben viel zu viel
Auch wenn ich als Pädagogin das alles weiß, haben meine Kinder (in den Augen von meinem Mann und mir) viel zu viel Spielzeug. Alleine für das oben beschriebene erste Lebensjahr besitzen wir zwei große Kisten Spielzeug, von dem das meiste Geschenke von Verwandten und Freunden sind.
Es ist das, was ich als „Mitbringfalle“ bezeichne. Fast jeder, der zu uns auf Besuch kommt, sei es länger oder nur zum Mittagessen, bringt den Kindern etwas mit – es sei ja nur eine Kleinigkeit. Und schon füllen sich die Regale – und der Dachboden, denn wir besitzen mittlerweile beispielsweise zwei Memoryspiele oder drei Wackelmännchen.
Geschenke, die sich verbrauchen
Vielleicht kann man Besuch anhalten, dass vor allem Dinge geschenkt werden, die ständig verbraucht werden: zum Beispiel Zeichenblöcke, Papiere oder andere Materialien zum Basteln (Pfeifenputzer, Perlen, Wolle, Garn,…), Stifte, Malfarben und Pinsel, Straßenkreiden, Klebeband, Bastelkleber, usw. Darüber freuen sich Kinder genauso und es entsteht nicht der Spielzeugüberfluss.
„Für Kinder ist nun mal Spiel ihr Leben.“
Julia Strohmer
Wir, als Eltern, handhaben es so, dass unsere Kinder (mit ganz wenigen Ausnahmen, dann sind es vor allem Bücher) nur etwas zu besonderen Anlässen (Geburtstag und Weihnachten) geschenkt bekommen und dann auch nur ein Stück. Wenn nämlich jeder Verwandte ein Stück schenkt, kommt selbst in einer kleinen Familie genug zusammen.
Was ist spielzeugfrei und spielzeugreduziert?
Gerade die Weihnachtszeit ist neben Geburtstagen oft die Zeit, in der viel Neues hinzu kommt. Vielleicht ist es aber auch eine Gelegenheit auszumisten? Deshalb möchte ich jetzt noch ein wenig zum Ansatz des spielzeugfreien bzw. spielzeugreduzierten Kinderzimmers schreiben.
Spielzeugfrei: Kein kommerzielles Spielzeug!
Spielzeugfreie Kinderzimmer sind frei von kommerziellen Spielzeugen. Kinder haben Spielmaterialien (z.B. Holzlatten und Holzklötze, Kork, Toilettenpapierrollen, Papier, Seile, Stoff/Tücher, Holzperlen, Holzringe, Körbe, usw.), die sie frei nutzen können. Sehr oft ist dies auch in Verbindung mit Naturmaterialien: Steine, Kastanien, Rinde, Moos,….
Spielzeugreduziert: Nicht immer alles
Spielzeugreduziert leben bedeutet, dass die Kinder Spielzeug und Spielmaterialien haben, aber nicht immer alles zur Verfügung steht. Es gibt dabei sehr unterschiedliche Ansätze: Die einen sagen, es gibt immer 3 Spielzeuge pro Kind (z.b. Autokiste, Puppe und Lego) und das wird alle 14 Tage gewechselt.
Es gibt Familien, die sagen, es kann mehr sein, Hauptsache es wird genutzt und gewechselt wird nach Bedarf. Es gibt Familien, bei denen sind Gesellschaftsspiele und Bastelmaterialien ausgeschlossen und somit immer verfügbar, usw. Hier gilt es seinen eigenen Weg zu finden. Wie das aussehen kann? Lesen Sie hier meinen Erfahrungsbericht.
Spielzeugreduziert leben – ein Erfahrungsbericht
Wie bereits geschrieben, hatten meine Kinder (4 und 2 Jahre, sowie 5 Monate) einfach zu viel Spielzeug. Das Aufräumen war immer ein Gewaltakt und oft mit Tränen verbunden – das wollte ich so nicht mehr. Ein Plan musste her.
1. Einfach mal beobachten
Zunächst habe ich beobachtet, welche Spielzeuge tatsächlich genutzt werden und welche Sachen nur ausgeräumt werden, aber nicht bespielt. Eigentlich wollte ich mir 14 Tage Zeit geben und immer abends notieren, was die Highlights des Tages waren. Die Notizen schienen mir sinnvoll zu sein, weil ich die Idee hatte, dass die Kinder vielleicht andere Dinge gerne bespielen als die Sachen, die mir besonders gut gefallen würden. Bereits nach fünf Tagen war die Lage so eindeutig, dass ich die Beobachtungsphase beendete.
2. Ordnung schaffen
Nun brauchten wir ein System, wie wir die nicht genutzten Spielsachen so verstauen können, damit sie trotzdem jederzeit wieder hergeholt werden können. Wir haben auf dem Dachboden Regale aufgestellt und die Spielsachen sortiert in beschriftete Kisten untergebracht. So gibt es nun Kisten mit Handpuppen, Lego, Playmobil, Puzzle, Fädelspiele, usw.
3. Die Spielumgebung gestalten
Jene Spielmaterialien, die verbleiben durften, wurden neu platziert. Die meisten Spielmaterialien sind bei uns im Wohnzimmer. Es ist der zentrale Raum im Haus und dort findet das meiste Familienleben statt und für Kinder ist nun mal Spiel ihr Leben. In jedem der drei Regale haben die Kinder die untersten zwei Fächer für sich zur Verfügung. Dort wurden die Sachen nun in offenen Körben oder lose einsortiert (je nachdem um was es sich beim Spielmaterial handelt).
Außerdem haben die Kinder noch große Kisten mit Duplo, Kapla, Bausteinen und einer Holzeisenbahn. Das Spielzelt als Rückzugsort oder für Rollenspiele steht ihnen auch im Wohnzimmer zur Verfügung, eine Spielküche und ein Maltisch im Küchen-Essbereich.
4. Rückblick: Wie viel Spielzeug haben die Kinder nun?
In den Regalen ist nicht viel geblieben. Aktuell hat jedes Kind drei Puzzle (das ist momentan eine ihrer Hauptbeschäftigungen, deshalb die etwas größere Auswahl), es gibt einen Korb mit Tüchern und einen mit Seilen, außerdem ein paar Verkleidungen. Sie haben eine Schachtel mit Knöpfen und Becher mit Schraubdeckel. Oft werden da die Knöpfe eingefüllt. Außerdem gibt es eine Puppe und zwei Steckspiele sowie ein Memory. Bücher haben wir zugegeben wirklich viele (wobei wir da auch tauschen), einfach weil beide Kinder Bücher lieben (zum Anschauen und Vorlesen).
Prinzipien zu spielzeugreduziert
Durchsucht man das Internet nach diesem Thema, so findet man viele „Anleitungen“ wie man spielzeugfrei oder spielzeugreduziert leben kann. Es gibt genaue Konzepte wie viele Spielmaterialien ein Kind haben darf (z.B. je Kind drei Sachen) und in welchem Rhythmus Spielmaterial ausgetauscht werden soll (z.B. alle zwei oder vier Wochen).
Mir war das alles zu starr und eigentlich empfand ich es auch unlogisch, warum es genau drei Sachen sein sollen und warum es in einem genauen Rhythmus getauscht werden soll. Mir geht es nicht um möglichst leere Regale, sondern darum, dass die Dinge, die zur Verfügung stehen, auch bespielt werden. Sollen es halt einmal zehn Sachen sein und einmal nur fünf Sachen.
Schon alleine dadurch, dass die Dinge im Regal nebeneinander und nicht aufeinander liegen, ist der Platz natürlich beschränkt. Kinder im Kindergartenalter ordnen jedoch die Dinge nebeneinander an. Etwas zu stapeln entspricht der Ordnung älterer Kinder/Jugendlicher und Erwachsener.
Der Wechsel erfolgt bei uns nach Bedarf nicht nach dem Kalender
Gewechselt wird immer dann, wenn ich merke, dass Dinge nicht mehr bespielt werden und nur herumstehen. Einmal ist das nach drei Wochen der Fall, einmal nach zehn Tagen. Mein vierjähriger Sohn äußert nun bereits selbst Wünsche, wie dass er ein bestimmtes Spielzeug unbedingt vom Dachboden braucht. Oder auch dass er etwas nicht mehr haben möchte und es gerne weg kann.
Ansonsten beobachte ich vor allem was die Kinder mit bestimmten Materialien und Spielsachen machen und biete dann Dinge an, die mir passend erscheinen. Wird etwas nicht gut angenommen, kommt es auch schon mal nach einer Woche wieder weg.
Unsere Ergebnisse des Projekts spielzeugreduziert
1. Ergebnis: Das Spielverhalten wandelt sich
Das Spiel der Kinder wurde wieder ruhiger, konzentrierter und tiefer. Sie verweilen länger bei einer Sache und probieren mit einem Spielmaterial auch sehr viele Varianten aus. Das Spiel wird somit auch kreativer. Mein Sohn klagt weniger über Langeweile, als würde er nun besser wahrnehmen können, was man alles machen kann.
2. Ergebnis: Unser Haus ist ordentlich
Die Übersichtlichkeit hilft nicht nur den Kindern ins Spiel zu finden, sondern es ist nun eine Leichtigkeit Ordnung zu halten. Aufräumen dauert selten länger als zehn Minuten, eine Zeitspanne, die auch ein Kind im Kindergartenalter gut bewältigen kann. So bleibt natürlich auch mehr Spielzeit übrig.
3. Ergebnis: Aufräumen geht viel schneller
Selbst als wir Besuch hatten und vier Kinder im Alter von anderthalb bis fünf Jahren mit den Spielsachen „auskommen“ sollten, gab es keine Probleme. Fünf Stunden lang wurde ausgiebig gespielt – zehn Minuten gemeinsam aufgeräumt.
Und wenn ich jetzt so diese Zeilen schreibe und ein wenig die letzten Tage Revue passieren lasse, so meine ich, dass es an der Zeit ist, wieder ein wenig zu räumen und zu tauschen.
PS: Ein paar Tipps zum Ausmisten habe ich auch schon mal im Blogpost Wie viel Spielzeug ist sinnvoll? erwähnt.
Bildnachweise:
Sketchnote: Christopher End
Foto 1: Nathan CC BY 2.0
Foto2&3: Julia Strohmer