Der große Tag: Es gibt Zeugnisse! Nicht wenigen Kindern graut davor – und auch etlichen Eltern. Denn mit dem Zeugnis kommt häufig der Streit um die Noten und die Leistung. Dabei braucht dein Kind jetzt etwas völlig anderes.
„Ich bin wieder zuhause“, hallt es normalerweise fröhlich durch das Treppenhaus. Nicht so heute. Dieser Tag ist anders. Das Kind kommt leise nachhause. Schleicht sich in die Küche. Legt ein Blatt auf den Tisch. Verschwindet wortlos in seinem Zimmer. Es ahnt, was folgt. „Das kann doch nicht wahr sein“, erhebt sich kurz darauf eine Stimme aus der Küche, „komm SOFORT her.“ Heute ist ein besonderer Tag: Heute gab es Zeugnisse.
1. Eigene Gefühle sehen und hintenanstellen
Als erstes finde ich es wichtig, dass wir als Eltern unterscheiden zwischen den Gefühlen unseres Kindes und unseren eigenen. Viel zu oft reagieren wir aus unserem Gefühl und übersehen das Kind. So habe ich mich mal über eine Klassenarbeit meines Sohnes aufgeregt. Ich war der Ansicht, mein Sohn wäre zu schlecht bewertet worden. Meine Frau pfiff mich schnell zurück. Sie fand, dass mein Sohn mit der Note zufrieden war. Hier hatte ich meinen Gefühlen zu viel Raum gegeben. Klar kann ich mich über die Benotung aufregen – aber nicht vor meinem Kind. Zuerst kommt also der Blick auf das Kind. (Ausführlicher zu den den eigenen Gefühlen und Erfahrungen mit Noten und Zeugnissen habe ich das hier im Podcast beschrieben)
Ein Zeugnis kann für ein Kind eine hochemotionale Situation darstellen. Selbst wenn wir im Grunde vorher ahnen, wie das Zeugnis ausfällt. Manchmal wissen wir es sogar. In der Schule unseres Sohnes haben die Lehrerinnen und Lehrer sogar fast alle Noten in der Woche davor mit jedem Kind besprochen. Wir kennen das Zeugnis also schon sehr gut. Dennoch ist es ein besonderer Moment: Jetzt steht da schwarz auf weiß, wie meine Leistung war. Oder zumindest, wie die Lehrerinnen und Lehrer glauben, dass meine Leistung ist. Aber Sinnhaftigkeit von Noten ist ein anderes Thema.
Traurig oder wütend wegen schlechter Noten
Wenn Kinder mit ihrem Zeugnis nicht zufrieden sind, kann sie das belasten. Sie sind vielleicht traurig, verärgert, wütend oder fühlen gar nichts. Sie können sich die Noten nicht erklären, sind perplex, fühlen sich wie vor den Kopf gestoßen. Sind Kinder hochemotional, dann brauchen sie echten Beistand. Sie brauchen das Gefühl, angenommen und geliebt zu werden – auch und gerade mit schlechten Noten. Dazu kommt eventuell der soziale Druck in der Gruppe.
Der Zeugnis-Vergleich: Und was hast du in Mathe?
Die meisten Kinder vergleichen ihre Noten. Offen oder verdeckt. Zumindest kennen sie die Noten ihrer Freunde. Wer sich am unteren Ende der Skala wieder findet, braucht ein dickes Fell. Vielleicht fallen sogar fiese Bemerkungen? Umso mehr braucht das Kind einen Ort, an dem es sich geborgen fühlt. Einen sicheren Hafen – und das sollten die Eltern sein.
Studie: Noten sorgen in der Hälfte der Familien für schlechte Stimmung
Vielleicht spielt sich die Zeugnisübergabe bei euch nicht so drastisch ab, vielleicht geht ihr ganz entspannt mit Noten und Zeugnissen um. Tatsache ist: Bei fast der Hälfte der Familien führen schlechte Noten zu schlechter Stimmung oder sogar zu Streit. Das zeigt eine Umfrage von forsa im Auftrag des Studienkreises (Link unten). Und das Kuriose: Selbst bei einem vergleichsweise guten Notendurchschnitt, das heißt überwiegend Einsen und Zweien auf dem Zeugnissen, kommt es über Noten zum Streit! Und ja, es gibt Kinder, die heute noch befürchten, für schlechte Noten Schläge zu bekommen. (Obwohl das ja mittlerweile längst verboten ist, per Gesetz …)
Streit gehört dazu – nur nicht wenn das Kind hochemotional ist
Ich bin weder gegen Streit – in einer lebendigen Beziehung kommen wir um Konflikte nicht herum – noch dagegen dass Eltern ihre Gefühle zeigen. Ganz im Gegenteil. Ich finde Eltern sollten authentisch sein. Denn wer etwas anders sagt, als er meint, sendet widersprüchliche Signale an sein Gegenüber. Und die eigenen Kinder sind sehr geschult, diese Signale zu empfangen und seien sie noch so fein. Dennoch gilt die Einladung zum Konflikt und die eigene Gefühle zu zeigen, nicht für einen Tag wie die Zeugnisübergabe. Hier habt ihr, haben wir als Eltern eine völlig andere Aufgabe.
Wenn dein Kind mit dem Zeugnis nachhause kommt, braucht es jemand, der einfach da ist. Hör einfach zu. Versuch dein Kind zu sehen: Wie geht es ihm? Und sei aufmerksam deinen eigenen Gefühlen gegenüber! Dies ist nicht der Zeitpunkt, deine Gefühle ungefiltert Raum zu geben, davon bin ich überzeugt.
Schlechte Noten? Lösungen suchen! Nur halt später …
Mir geht es in diesem Artikel nur um den Tag der Zeugnisübergabe. Wenn dein Kind schlechte Noten hat und du und (!) dein Kind damit unzufrieden sind, dann dürfen und sollt ihr nach einer Lösung suchen. Nur bitte nicht in einer hochemotionalen Situation. Dann braucht das Kind erst einmal diesen sicheren Hafen, der Eltern oder Familie heißt.
Das alternative Zeugnis
Wenn du meinst, deinem Kind würde etwas ganz anderes gut tun als eine Beurteilung nach Noten, wie wär es dann mit einem alternativen Zeugnis? Ein Zeugnis, dass ihr als Eltern ausstellt. Indem du die Stärken deines Kindes beschreibst, indem du dich auf das konzentrieren, wofür du dankbar bist. Quasi das Geschenk deines Kindes an die Welt. Eine Vorlage für ein alternatives Zeugnis findest du auf der Seite von Scoyo – oder du gestaltest einfach eines selber 🙂